Streit um Unterkunft: Eine ehrenamtlich arbeitende Bünderin versucht seit Monaten, einen leer stehenden Raum für eine geflüchtete Schülerin zu nutzen. Das Sozialamt stellt sich quer.

Bünde. Renate Becker (Name von der Redaktion geändert) weiß nicht mehr weiter. „Vielleicht ist es einfach besser, die Segel zu streichen.“ Seit vielen Jahren engagiert sich die Rentnerin beimVerein Internationalin der Flüchtlingshilfe. Bei ihrem aktuellen Fall stößt Becker aber an ihre Grenzen.

Seit 2015 betreut die Bünderin, die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, eine sechsköpfige Familie, die aus Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Becker kümmert sich vor allem um die 19-jährige Tochter Yasmina (Name ebenfalls geändert). Die junge Frau leidet seit ihrer frühen Kindheit unter einer Gehbehinderung, zudem unter Schlafstörungen. Darüber hinaus wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Becker versuchte, eine therapeutische Betreuung für Yasmina zu organisieren. „Das ist jedoch gescheitert, weil schlichtweg die Dolmetscher fehlen.“ Trotz der Widrigkeiten besucht die 19-jährige das Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Bünde.

Die Bemühungen der jungen Frau werden jedoch aus Sicht Beckers aufgrund der Wohnsituation erschwert. Denn momentan ist die Familie in einem der ehemaligen Briten-Häuser in Hunnebrock untergebracht. Die Eltern sowie die vier erwachsenen Kinder im Alter zwischen 18 und 25 Jahren teilen sich dabei ein Badezimmer und zwei weitere Zimmer, die über zwei Etagen verteilt sind. „Das größere Zimmer, das der Familie tagsüber als Wohnzimmer dient, wird abends zum Schlafzimmer umfunktioniert“, sagt Becker. Ein weiteres Zimmer im Obergeschoss sei zeitweise anderweitig belegt gewesen, stünde seit Anfang des Jahres aber frei.

Seit geraumer Zeit versucht Becker nun, vomSozialamt der Stadt Bündedie Erlaubnis zu erhalten, dass Yasmina diesen leer stehenden Raum im Obergeschoss nutzen darf, um ihre Schularbeiten zu erledigen. Bislang ohne Erfolg. Das Sozialamt der Stadt Bünde lehnte den Antrag bisher ab. Im Rahmen des Asylgesetzes sei die Unterbringung von Flüchtlingen grundsätzlich in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften vorgesehen. „Gleichwohl ist die Stadt Bünde bestrebt, insbesondere Familien eine vergleichsweise komfortable und zentrale Wohnmöglichkeit in denReihenhaussiedlungen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA)zu ermöglichen“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt.

Eine Übervorteilung soll vermieden werden

Zurzeit müssten mehr als 400 Personen in den BImA-Unterkünften und den eigenen städtischen Sammelunterkünften untergebracht werden. Das Nutzungsrecht der Bewohner basiere laut Stadt auf einer öffentlich-rechtlichen Zuweisungsverfügung, es bestehe kein Anspruch darauf, eine Wohnung mit allen verfügbaren Zimmern zu bewohnen.

„Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialamts handeln gewiss nach Recht und Gesetz. Was aber möglicherweise nicht gesehen wird, ist, dass im vorliegenden Einzelfall eventuell Bildungschancen verbaut werden und die betroffene Frau auf Dauer staatlich alimentiert werden muss – was auf jeden Fall die teuerste Lösung wäre“, heißt es in einer Mitteilung des Vereins. Dem entgegnet die Stadt: „Die meisten untergebrachten Personen haben einen Fluchthintergrund, viele davon mit gesundheitlichen und psychischen Einschränkungen.“ In einer Mitteilung, die derNWvorliegt, heißt es weiter: „Um eine Übervorteilung einzelner beziehungsweise Nachteile für alle Familien auszuschließen, kann nur in Härtefällen von der grundsätzlichen Regelung abgewichen werden.“

Gleichwohl werde bei der Belegungsplanung auf die gesundheitlichen Belange Rücksicht genommen. „Um eine einheitliche Beurteilung sicherzustellen, wird in diesen Fällen das Gesundheitsamt des Kreises Herford durch die Verwaltung beauftragt.“ Die Zusage von Seiten der Stadt, eine solche Beurteilung in Auftrag zu geben, sei wieder revidiert worden. „Das grenzt für mich an reine Schikane“, kommentiert Becker den Vorgang. „Die Familie bemüht sich. Die Töchter besuchen berufsvorbereitende Schulen. Der Sohn hat seine Sprachkurse absolviert und will eine Ausbildung machen.“ Welchen Sachstand der Fall momentan beim Sozialamt hat, ist unklar. Auf Anfrage dieser Zeitung teilt die Stadt Bünde mit: „Zu dem geschilderten Einzelfall können wir aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft geben.“

Nicht einen Krisenherd, sondern den Herkunftsort einer faszinierenden Kultur präsentierte der Verein International im Bonhoeffer-Haus: v.l. Jawand Mas, Hosam Alibrahim, Keca Medya, Aram Hame und Vorsitzender Ulrich Papke

Von Philipp Tenta

Bünde. Selten konnte man Paul Verlaines Gedanken zur Poesie so konsequent umgesetzt erleben, wie bei dem vom Verein International organisierten Syrischen Kulturabend. Wenn Aram Hame arabische Dichtungenvorträgt, erlebt man vor allem Musik, ungleiche Rhythmen und zahllose Nuancen. Seine orientalische Rezitationskunst überträgt er auch auf die deutschen Übersetzungen, auch hier wird jedes Wort und jede Silbe zum klanglichen Erlebnis.

Für den Abend im Bonhoeffer-Haus hatte er zeitgenössische Texte syrischer Dichterinnen ausgewählt. Viele von ihnen bereits international anerkannt, alle mussten aus ihrer Heimat fliehen und leben mittlerweile in Deutschland. Gedichte, bei denen sich poetische Bildersprache mit klarer politischer Ansage verbinden. Hosam Alibrahim als Sänger und Oud-Spieler entführte in eine kontrastreiche Klangwelt, die uns heute faszinierend fremd erscheint, gleichzeitig aber auch den Ursprung unserer westlichen Musiktradition darstellt.

Besonders beeindruckend war die rhythmische Begleitung von Jawand Mas, der einer scheinbar simplen Handtrommel eine unermessliche Palette von Klangfarben entlocken kann, von der viele Schlagzeuger an einem ausgewachsenen Jazzset oft nur träumen können. Aram Hame ist jedoch nicht nur Mittler und Übersetzer von Literatur ins Arabische und Deutsche. Mit einem eigenen Gedicht über seine neue Heimatstadt Bünde verabschiedete er sich von seinen Zuhörern. Ein verblüffender Text, der vordergründig orientalisch und blumig ausgeschmückt erscheint, schnell aber mit unerwarteten Assoziationen und Zwischentönen zum Weiterdenken anregt.

Das Bonhoeffer-Haus war auch dieses Mal wieder brechend voll. Nach der literarischen und musikalischen Orientreise gab es, begleitet von Tee und syrischen Köstlichkeiten, Gelegenheit zu angeregtem, internationalen Gedankenaustausch. Als Überraschungsgast war zum Abschluss Keça Medya, Sängerin mit kurdischen Wurzeln zu erleben. Sowohl mit orientalischem Sologesang als auch im spontanen Miteinander mit den beiden Instrumentalisten endete so der Abend mit einer zusätzlichen Verzauberung.

 

Bünde (BZ/sal). Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter den rund 60 Mitgliedern des Vereins International. Allem voran der Umzug vom alten Ennigloher Jugendheim in Räume des Dietrich-Bonhoeffer-Hauses. Eine Auflistung seiner Angebote und Projekte legten die Ehrenamtler jetzt den Mitgliedern des Integrationsrates vor. 

Demnach habe der Verein dank der Unterstützung seiner freiwilligen Helfer und einiger Flüchtlinge seine Arbeit am neuen Standort recht schnell wieder aufnehmen können. Auch das Café International, das mittlerweile Sprachcafé heißt, konnte seine Pforten zügig wieder öffnen. 

»Unsere Sprachkurse mit qualifizierten Abschlüssen haben wir im Januar 2018 beendet, da viele Flüchtlinge Kurse an der VHS in Herford besuchen müssen. Wir haben uns neu orientiert und bieten nun Alphabetisierungskurse an. Diese werden gut angenommen«, teilte Vereinsmitglied Carola Austermann im Zuge des Jahresrückblicks mit. 

Zudem habe der Verein zwei neue Projekte ins Leben gerufen. Das Angebot »Familienhilfe« umfasse dabei sämtliche Aspekte rund um das Thema Familie. Dazu zählten beispielsweise die Begleitung und die Beratung von Flüchtlingsfamilien beim Besuch von Schule und Kita, die Unterstützung bei Mietangelegenheiten oder die Ausrichtung von Infoabenden zum deutschen Bildungs- und Gesundheitswesen. 

Das Angebot »Bildung und Ausbildung« diene vor allem dazu, junge Asylsuchende in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen oder ihnen einen Studienplatz zu vermitteln. »Ein wichtiger Punkt dabei ist, über die möglichen finanziellen Hilfen zu informieren, damit eine Ausbildung oder ein Studium nicht wegen eines zu geringen Lebensunterhalts abgebrochen werden müssten«, führt Austermann aus. In dem Zusammenhang habe der Verein International auch Kontakt zur Handwerkskammer aufgenommen. 

Auch im vergangenen Jahr habe der Verein verschiedene Aktionen für Flüchtlinge angeboten – etwa eine Radtour zum Hücker Moor im vergangenen Sommer, einen Besuch des Tierparks in Olderdissen im Herbst sowie eine Fahrt zum NRW-Landtag.

 

Mein Verein: Seit fast 32 Jahren gibt es in Bünde den Verein International. Unter dem Prinzip „Hilfe zur
Selbsthilfe“ stehen die rund 60 Mitglieder Geflüchteten mit zahlreichen Angeboten zur Seite

Von Björn Kenter

Bünde. „Verein zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit – International Bünde e. V.“ – so lautet der offizielle vollständigeName eines Vereins, der in Bünde vielen Menschen unter dem Titel „Verein International“ bekannt ist. In den Anfängen nach der Gründung 1987 drehte sich das Wirken vor allem um Gastarbeiter aus dem Ausland. So trafen sich Türken, Kurden, Eritreer, Tamilen, Albaner und Roma unter dem Dach des Vereins. Auch die Alevitische Gemeinde in Bünde gründete sich 1993 mit Unterstützung des Vereins International.

Anfang der 90er Jahre sorgte der Krieg in Jugoslawien für eine erhöhte Anzahl an Geflüchteten, die in Deutschland Schutz suchten. „Das war eine sehr intensive Zeit“, erinnert sich der Vorsitzende Ulrich Papke. Zum Vorstand gehören außerdem der Stellvertretende Vorsitzende Sevket Gözlükaya und Schatzmeisterin Carola Austermann.
Seit dem Syrien-Konflikt konzentriert sich ein Großteil der Arbeit seit etwa vier Jahren auf die Hilfe für Geflüchtete. Zum Selbstverständnis gehört die Hilfe zur Selbsthilfe.
„Wir leisten logistische und materielle Unterstützung“, beschreibt Papke das Organisationsprinzip. Dazu gehören Begleitung bei Besuchen im Kindergarten, Hilfe bei Wohn- und Mietangelegenheiten sowie Info über das Bildungs- und Gesundheitswesen und einiges mehr.

Eine wichtige Rolle spielt die seit zwei Jahren laufende Fahrradwerkstatt, in der im Bonhoeffer-Haus mit Hilfe des ADFC gebrauchte Räder vermittelt und repariert werden.
„Wir haben einen Zweiradmechaniker, der auch komplizierte Schaltungen wieder hinbekommt und insgesamt bereits 160 Fahrräder ausgegeben“, verweist der Vorsitzende
auf eine starke Bilanz.

Bei den Sprachkursen habe es zuletzt einen Wandel gegeben. Wurde zu Beginn noch großen Wert auf die Ausgabe von Zertifikaten gelegt, sei das mittlerweile Sache der offiziellen Bildungsträger. „Wir haben teilweise Analphabeten hier, mit denen man anders umgehen muss, als beispielsweise mit Studenten aus Syrien“, sagt Protokollführer
Winfried Keller. Im Vordergrund stehe darum die Sprache als wichtiges Element, um sich im Alltag zurechtzufinden.

Seit einiger Zeit kommen auch ältere Menschen, die schon seit längerer Zeit in Bünde leben, zu den Kursen. „Sie sehen, dass ihre Kinde rund Enkelkinder Deutsch gelernt haben und sehen das als Anreiz, ebenfalls Deutsch zu lernen“, hat der Vorsitzende festgestellt.

Auch der Charakter des seit 2014 am Donnerstagnachmittag laufenden „Café International“, das inzwischen Sprachcafé heißt, habe sich verändert. „Zu Beginn war das eine Möglichkeit der Begegnung zwischen Bünder Bürgern und den Geflüchteten. Mittlerweile steht die Verbesserung der Sprache für den alltäglichen Gebrauch und somit auch den wichtigen Zugang zum Arbeitsmarkt im Fokus“, unterstreicht Papke und fügt an: „Das ist unglaublich wichtig für die Geflüchteten. Dabei steht nicht einmal zwingend das Geldverdienen an erster Stelle, sondern es dient ihrem Selbstwertgefühl. Sie möchten ein nützliches Mitglied dieser Gesellschaft sein.“

Als Mitglied des 1. Mai-Komitees betreibt der Verein International mit seinen Kooperationspartnern auch bildungspolitische Arbeit. Dazu zählen Veranstaltungen zu kritischen Themen wie Ditib, der Gülen-Bewegung, die politische Situation in der Türkei, aber auch zur Ausbildungsplatzsituation, dem Mindestlohn sowie dem Asylrecht und der Abschiebepraxis.

Noch bis 2021 steht dem Verein das Bonhoeffer-Haus für die Veranstaltungen zur Verfügung. Wie es danach weitergeht, ist derzeit noch offen. „Die Zusammenarbeit mit der Stadt Bünde ist aber trotz aller Konflikte sehr konstruktiv“, betont Ulrich Papke. Auch für die Menschen in Bünde hat der Vereinsvorsitzende ein großes Lob übrig: „Wie die Menschen hier sich in den letzten vier Jahren über alle Vorbehalte hinaus für andere Menschen eingesetzt haben, hat mich wirklich überrascht“, würdigt Papke das vielfältige Engagement. „Wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern begegnen, lösen sich Vorurteile meist ganz schnell auf.“ Da sind sich die Verantwortlichen sicher.

Wer sich die Arbeit des Vereins einmal näher anschauen will, ist eingeladen, am Donnerstagnachmittag zum Sprachcafé oder zu den 14-tägigen Treffen dienstags ab
19.30 Uhr ins Dietrich-Bonhoeffer-Haus zu kommen.

Kooperationspartner:
1. Mai-Komitee, Flüchtlingsbegleiterkreis, Initiative 9. November, Alevitische Gemeinde, Villa Kunterbunt, Netzwerkgruppe Gymnasium am Markt.
Auszeichnungen: Bundesverdienstkreuz 1997 für den langjährigen Vorsitzenden Heinz Schmidt;  Lesepreis der Neuen Westfälischen für das Projekt „Spielend lernen“ mit
Schülern des Gymnasiums am Markt (3.000 Euro) im November 2016;  Bürgerpreis der PSD-Bank für die Vermittlung von Medienkompetenz für Flüchtlinge (2.000 Euro), November 2017.

Kontakte:
Ulrich Papke, Tel. (05223) 1 72 84, werktags zwischen 8 und 9 Uhr;
Carola Austermann (Finanzen), Tel. (05223) 699294, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Ute Fröhlich, Tel. (05223) 3045, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Freiherr-vom-Stein-Gymnasium: Erlös aus Sponsorenlauf bringt 2.690 Euro. Ziel ist es unter anderem, Sprach- und Bildungsangebote zu ermöglichen.

Bünde (nw). Stellvertretend für alle Schüler der Schule hat die Schülervertretung des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums nun eine Spende in Höhe von 2.690 Euro für die Bemühungen des Vereins zur Integration zugewanderter Kinder und Familien in Bünde übergeben.
Die Spende ist Teil des Geldes, das im Rahmen des diesjährigen Sponsorenlaufs der Schule durch alle Klassen und Kurse erlaufen wurde. Dazu haben die Schüler Sponsoren gesucht, die Ihnen für jede gelaufene Runde einen festgelegten Betrag spenden.
Johanna Kramer, Schülersprechern des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums, (FvSG) stellte bei der Übergabe der Spende heraus, dass es den Schülern wichtig war, die Integrationsarbeit durch ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Am FvSG werden seit mehr als drei Jahren neu zugewanderte Kinder und Jugendliche unterrichtet. Dabei leisten alle Beteiligten einen wichtigen Beitrag zur Integration.
Durch den täglichen Kontakt der Schüler in den Klassen kann eine Integration sehr gut gelingen. "Mit der Unterstützung des Vereins International ist es der Schülervertretung aber auch eine Anliegen, die Integration der gesamten Familien und besonders der Eltern zu fördern", heißt es in einer Mitteilung. Ihnen können so unter anderem Sprach- und Bildungsangebote gemacht werden, damit sie selbstständig werden und in Bünde eine neue Heimat finden können.