Seit fünf Jahren setzt Ilknur Güler im Löhner Migrationsbüro Integration um. Nun will sie mitgestalten, wie das Thema angepackt wird. Ihre Familie hat sich schon immer engagiert, unter anderem beim Verein International

Von Judith Gladow
Löhne/Bünde
. Seit fünf Jahren berät und betreut Ilknur Güler im Migrationsbüro der Stadt Löhne die Neuankömmlinge in der Werrestadt. Von Flüchtlingskrise bis Corona hat sie herausfordernde Zeiten in der Integrationsarbeit miterlebt. Nun verlässt die 40-Jährige ihren Job in Löhne und geht zum Kreis Herford, wo sie ab Januar mitgestalten will, wie Integrationsarbeit gemacht wird. Ihre Perspektive auf das Thema ist geprägt von den Erfahrungen der vergangenen Jahre in Löhne, aber auch von ihrem eigenen „kulturellen Background“, wie sie sagt. „Das bringt durchaus Vorteile mit sich.“

Ilknur Güler ist Bünderin, Nachfahrin von Gastarbeitern, Alevitin und spricht neben deutsch zusätzlich türkisch, kurdisch, englisch und französisch. Eine wichtige Rolle in ihrer Kindheit spielte unter anderem der Bünder Verein International – ihr Onkel war dort sehr aktiv. „Ich bin wirklich mit allen Kulturen aufgewachsen“, erzählt sie. Beim Elternsprechtag oder auch bei Behördengängen für ihre eigenen Eltern zu dolmetschen, das gehörte für sie dazu. „Einige Comedians mit Migrationshintergrund haben da ja ganze Episoden in ihrem Programm. Aber das war wirklich so. Und das ist auch gar nicht schlimm.“

Auch wenn das in jugendlichem Alter nicht immer angenehm war – „den eigenen Eltern zu erklären, was man schlecht gemacht hat“ – heute blickt sie darauf aus einer anderen Perspektive. Wenn sie nun Flüchtlingsfamilien betreue, in denen die Kinder meist viel schneller sehr flüssig Deutsch können als die Eltern, ermuntere sie diese, im Zweifelsfall ebenfalls bei Ärzten, Ämtern und anderen offiziellen Stellen für ihre Eltern anzurufen. „Da gibt es oft am Anfang Berührungsängste oder die Angst, nicht ernstgenommen zu werden. Dann mache ich das mit denen ein- oder zweimal gemeinsam. Danach können die das.“ 

Die Integrationsarbeit mal zu ihrem Job zu machen, das hat Güler ursprünglich gar nicht vorgehabt. Nach dem Abitur an der Gesamtschule Bünde studierte sie Erziehungswissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie machte eine zwischenzeitliche Pause für Heirat und Kinder, 2014 schloss sie ihr Studium mit Diplom ab. Ursprünglich war der Plan, in den Bereich Schulentwicklung und Inklusion zu gehen, sie arbeitete als Schulbegleiterin.

Schließlich war Güler auch Betreuerin bei den Internationalen Kindergruppen (Inkis) in Löhne und als 2015 viele Menschen – vor allem vor dem Bürgerkrieg in Syrien – flohen und unter anderem auch in Löhne aufgenommen wurden, engagierte sie sich ehrenamtlich in der Frauengruppe.

Und dann wurde hier diese Stelle frei.“ Im Februar 2016 fing sie bei der Stadt an. Sie beriet und betreute Asylbewerber – zunächst in Teilzeit, später in einer vollen Stelle. Sie ist eine von fünf Hauptamtlichen bei der Stadt Löhne, die sich um die Integrationsarbeit kümmern. „Löhne ist da eine sehr gut aufgestellte Kommune“, sagt sie. Das sei unter anderem auch dem ehemaligen Dezernenten Ulrich Blomenkamp zu verdanken, der 2016 in den Ruhestand gegangen ist. Er habe die Grundlage dafür geschaffen.

Bei ihrer Arbeit sei ihr wichtig, dass ihre Unterstützung nur eine Hilfe zur Selbsthilfe sei. Schließlich sollen die Menschen, die ihr gegenübersitzen, möglichst schnell Fuß fassen und auf eigenen Beinen stehen. Das sei auch in den meisten Fällen so. Schwierig sei es zumeist für die Personen, die auf der Flucht oder schon davor traumatische Erfahrungen gemacht haben. „Dem gerecht zu werden, die Distanz zu bewahren bei solchen sehr emotionalen Geschichten, das ist schon schwierig“, sagt Güler.

Die Löhner seien von Anfang an sehr engagiert gewesen – bis heute. „Es gibt hier sehr viele Ehrenamtliche.“ Auch ein Dolmetscherpool, zum Teil aus einstigen Klienten, die sie beraten hat, habe sich etabliert. All das habe dann auch während der Corona-Pandemie und durch die Lockdowns hindurch dafür gesorgt, dass der Kontakt zu den Menschen nicht verloren gegangen sei. Und auch sie selbst sei – unter den jeweils geltenden Bedingungen – für die Menschen natürlich da gewesen. „Die, die in dieser Zeit Hilfe benötigt haben, haben sie auch bekommen.“

Insgesamt hätten die Neuzuweisungen in Löhne wieder abgenommen. 2014 waren es laut Güler 147 Menschen, 2015 kamen 523 nach Löhne und 2016 noch 199. „Seit 2017 liegen wir im zweistelligen Bereich.“ Über ihre Arbeit und über die niederschwelligen Projekte wie Flüchtlingsfrauengruppe, Männerfußballgruppe oder Café Mosaik, die sie besonders schätzt, redet sie mit Enthusiasmus und Leidenschaft. Warum sie sich nun umorientiert? „Hier führe ich durch. In meiner neuen Stelle entwickle ich die Ideen“, sagt Güler. Als Koordinatorin im kommunalen Integrationsmanagement des Kreises könne sie Konzepte mit erarbeiten, die die Zukunft der Integration prägen könnten. Und wie die gelingen kann, dafür hat sie zumindest schonmal eine Grundregel: „Wir müssen den Menschen als Menschen sehen, nicht als Fall in einer Akte.“

 

 

 

 

 

 

Ein in Bünde lebender Türke äußerte sich kritisch über Muslime in Mekka, die darüber diskutierten, ob Frauen auch Menschen seien. Nun droht ihm die Türkei mit Gefängnis.

Von Gerald Dunkel

Bünde/Ankara. Vor Jahrzehnten kam Metin G. (Name geändert) aus der Türkei nach Deutschland. Der Mann Anfang 60 lebt hier in Bünde allein und wünscht sich nichts mehr als ein friedliches Leben. Er ist genau das Gegenteil eines religiösen Menschen und bezeichnet sich selbst als Atheist mit einer anti-islamistischen Grundhaltung. Er hat nichts gegen den Islam oder generell gegen Religion, aber er mag keinen Fanatismus – keinen Extremismus. Mit seiner Meinung zu allen möglichen Themen hält Metin G. bei allem Friedenswillen aber nicht hinterm Berg. Das wird ihm in diesen Tagen zum Verhängnis, denn sein Heimatland, die Türkei, droht ihm mit Haft und bat die hiesigen Gerichte um Amtshilfe und Vernehmung von Metin G. – und, wie sich herausstellt, offensichtlich noch vielen weiteren türkischstämmigen Bürgern in Deutschland. Der Vorwurf gegen den Bünder: Rassismus. 

Wenn ich etwas bestimmt nicht bin, dann ist es rassistisch“, sagt Metin G. Er engagiere sich für Gleichberechtigung in jeder Hinsicht – zwischen Religionen, Ethnien, Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität und auch zwischen Geschlechtern. Da stieß im vor einiger Zeit ein Beitrag in den sozialen Medien übel auf. „Ich sah ein Video bei Youtube, das in Mekka (Saudi Arabien) aufgenommen wurde. Darin diskutierten hochgestellte Personen über die Frage ’Sind Frauen auch Menschen?’. Das regte mich sehr auf“, erinnert sich Metin G. im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. Er verlinkte das Video bei Facebook und schrieb in seinem Beitrag sinngemäß, dass er die Behauptungen, die die Männer aufstellen würden, gern in dem Buch nachlesen würde, das sie in ihren Händen hielten. Das Buch, das er damit meinte, war der Koran – die Heilige Schrift des Islam. 

Im letzten Absatz wird mit Gefängnis gedroht 

Es dauerte nicht lang, bis seine Beiträge bei Facebook und auch beim Kurznachrichten-Dienst Twitter gelöscht waren . Seine Konten bei den beiden Onlinediensten seien sogar kurzzeitig gesperrt gewesen. Metin G. verstand die Welt nicht mehr. „Darf man seine Meinung nicht mehr öffentlich sagen?“, fragte er sich selbst. Er ist sich sicher, dass für die Löschung seiner Beiträge viele Beschwerden bei den Online-Diensten eingehen müssen, damit dort reagiert wird. Er vermutet eine Gruppe oder Organisation, die die sozialen Medien auf derlei Beiträge hin durchsucht und dann gleich hundertfach Beschwerden mit wenigen Klicks auf den Internetseiten verfasst. Mit einem seiner Beiträge über die Taliban in Afghanistan sei es ihm ähnlich ergangen. 

Doch damit nicht genug. Vor einigen Wochen flatterte Metin G. ganz besondere Post aus seinem Heimatland ins Haus. Absender waren die türkische Staatsanwaltschaft sowie auch die deutsche Justiz. Er erhielt eine Vorladung zu einer Anhörung. Grund ist der Vorwurf der türkischen Justiz, die Metin G. rassistische Äußerungen gegenüber saudi-arabischen Menschen vorwirft. Gemeint war damit sein Beitrag zu dem Video über die Frage, ob Frauen auch Menschen seien. Da war Metin G. geschockt. Angezeigt hatte ihn jemand aus seinem Heimatort in der Türkei, dessen Name in der Anklageschrift zu lesen war. „Ich kenne ihn nicht persönlich, habe aber in seinem Facebook-Profil gesehen, dass er sehr regierungstreu ist.“ Metin G. liest aus dem Schreiben in türkischer Sprache, in dem ihm im letzten Absatz sogar Gefängnis angedroht wird, sollte er wieder türkisches Hoheitsgebiet betreten. 

Angst davor, das Konsulat zu betreten 

Das stellt für Metin G. in spätestens einem Jahr ein Problem dar, denn er hat nur die türkische Staatsbürgerschaft und muss dann seinen Pass verlängern. In der Regel passiert das im türkischen Konsulat in Münster. „Doch wenn ich das betrete, komme ich vermutlich nicht wieder raus und werde festgenommen“, befürchtet der Mann, der sich an den Verein International in Bünde wandte. Uli Papke, der Vorsitzende des Vereins, weiß von weiteren Fällen in Deutschland und der offensichtlichen Methode dahinter, mit der Regierungs- oder Islamkritiker hierzulande bedroht werden und mundtot gemacht werden sollen.

Laut einem Bericht des Deutschlandfunk gibt es bereits den internationalen Begriff der „Transnational Repression“, also der Unterdrückung über nationale Grenzen hinweg. Immer mehr autoritäre Regime würden diesem Trend folgen. Diese „Transnational Repression“ gliedere sich in mehrere Kategorien, die im schlimmsten Fall bei direkten Angriffen und Verschleppungen beginnen und über Mobilitätseinschränkungen durch Annullierung von Reisepässen bis hin zu Bedrohungen und Einschüchterungen in sozialen Medien reichen. In den meisten Fällen trifft es bekannte missliebige Dissidenten im Ausland. Aber wie sich zeigt, macht man offenbar auch vor einfachen Bürgern im Ausland wie Metin G. nicht mehr Halt, der doch einfach nur seine Meinung öffentlich sagen will.

 

 

 

 

Um die Integration von Migranten zu verbessern, benötigt der Verein International 9.200 Euro im Jahr. Bis auf die AfD sprechen sich alle Fraktionen für die Förderung aus.

Bünde (flow). Mit 9.200 Euro pro Jahr hat die Stadt Bünde die Arbeit des Vereins „International Bünde“, der sich für die Integration von Migranten einsetzt und auch ein Filmprojekt zur Geschichte der Juden in Bünde verfolgt, bislang unterstützt. Von der Fördersumme werden 8.000 Euro für die Miete im Dietrich-Bonhoeffer-Haus verwendet. Die weiteren 1.200 Euro werden als Sockelbetrag genutzt, um laufende Kosten zu decken. Damit die Arbeit des Vereins fortgesetzt werden kann, ist eine weitere Förderung durch die Stadt notwendig.

Die ehrenamtliche Arbeit mit Geflüchteten habe sich in den vergangenen drei Jahren geändert, schreibt der Verein. Schließlich habe sich die Zahl der in Bünde ankommenden Migranten in den vergangenen Jahren reduziert. Aber: „Insgesamt ist festzuhalten, dass der Umfang der Flüchtlingsbegleitung nicht abgenommen hat.“

Besonders durch die neue Situation mit dem Coronavirus habe sich die Arbeit der Helfer des Vereins verändert. Die Integrationsarbeit ist in Zeiten der Pandemie schwieriger geworden. So gebe es weniger direkte Kontakte zwischen Helfern und Flüchtlingen. „Deutschkurse und Hausaufgabenhilfe laufen unter strengen Hygienebedingungen mit geringer Teilnehmerzahl zwar weiter, aber es besteht die Gefahr, dass die bereits erworbenen Sprachkenntnisse wieder verloren gehen“, teilt der Verein mit, der auch Nachhilfeunterricht in Mathematik, Physik und arabischer Sprache anbietet. Dieses Angebot habe sich bis über die Bünder Stadtgrenzen herumgesprochen, heißt es vom Verein.

Doch was denken die politisch Verantwortlichen über die weitere Förderung des Vereins? Die Grünen wollen, dass die Unterstützung fortgesetzt wird, sagt Eyüp Odabasi im Ausschuss für Soziales und Integration. „Daher wollen wir die Arbeit weiter fördern.“ Zustimmung gibt es auch von SPD, CDU, UWG und der Linkspartei.

Nur die AfD kündigt an, gegen eine weitere Förderung von International Bünde zu stimmen. Laut Ausschussmitglied Heidi Ludwig handele es sich bei Bünde International nicht um einen „weltanschaulich neutralen Verein“. Es sei eine politische Organisation und diese dürfe „nicht von Steuergeldern unterstützt werden“. 

Ob der Verein „Bünde International“ die Förderung erhält, muss der Stadtrat in der kommenden Sitzung entscheiden.

 

 

 

Das Schicksal der Bünder Juden ist ein dunkles Kapitel der Stadthistorie – das bis in die 90er Jahre hinein vielfach totgeschwiegen wurde. Die Netzwerk-AG des Gymnasiums am Markt hat das verändert und tut das auch nach wie vor – jetzt mit einem Film

Von Maiko Haselhorst

Bünde
. 22 Jahre gibt es sie nun schon, die Netzwerk-AG des Städtischen Gymnasiums am Markt (GaM). 22 Jahre, in denen sich viel getan hat. „Es ist nicht so, dass wir im Jahr 1999 überall offene Türen einrannten – viele wollten sich mit dem Kapitel Nazizeit in Bünde gar nicht befassen“, macht die ehemalige GaM-Lehrerin Christina Jaffe (früherer Name Whitelaw) deutlich, die die AG seinerzeit mitgründete und leitete. Aber es hat sich etwas getan in den Köpfen der Bünder, nicht zuletzt aufgrund der Aufarbeitung der Gräueltaten durch die Netzwerk-AG. Ihr jüngstes Projekt ist ein soeben fertiggestellter Film, der ab sofort unter die Leute gebracht werden soll: „Der Geschichte Gesichter geben“.

 Als die AG sich 1999 gründete, begannen die Schüler und Schülerinnen unter anderem damit, unter Anleitung ihrer Lehrerin Einzelschicksale jüdischer Bürger zu untersuchen. Sie führten Interviews mit Zeitzeugen und deren Angehörigen. Dabei knüpften sie auch persönliche Kontakte zu 14 jüdischen Emigranten aus den Vereinigten Staaten – die auf Einladung der Gruppe sogar nach Bünde kamen. „Wir haben damals sogar die Übernachtungen im Hotel selbst bezahlt“, erinnert sich Jaffe. Erst als es öffentliche Anerkennung von außerhalb gab, habe die Stadt sich mit ins Boot gesetzt.

 Der Bünder Filmemacher Norbert Kaase, von Anfang an dabei, hielt die Gespräche mit den Zeitzeugen über den kompletten Zeitraum hinweg auf mehr als 30 Videokassetten fest. „Und da sind nicht nur einfache Gespräche zu sehen, sondern echte Emotionen“, betont Christina Jaffe. Ein Teil der Arbeit basiert auch auf Materialien aus Büchern des Historikers Norbert Sahrhage. Wieder anderes, so Jaffe weiter, sei durch die Aufzeichnungen der jährlichen Mahn- und Gedenkveranstaltung an der Marktstraße anlässlich der Reichspogromnacht hinzugekommen.

 Film soll vor allem in Schulen gezeigt werden

 Der Film soll die Geschichte der Juden in Bünde dokumentieren und nachfolgenden Generationen zugänglich machen. Er ist rund 80 Minuten lang und soll vornehmlich im schulischen Unterricht gezeigt werden. Weitere Aufführungen wären im Museum, im Kino Universum, in der Volkshochschule sowie in Kultur- und Jugendeinrichtungen möglich. Jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Heranwachsende in Bünde und Umgebung, so der Wunsch der Beteiligten, sollte den Film gesehen oder mindestens davon gehört haben. Diese Form der Erinnerungsarbeit sei insofern auch geboten, weil direkte Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kaum noch möglich seien. Eine öffentliche Erstaufführung ist geplant, sobald die Coronaauflagen dies ermöglichen. Früher oder später, so Christina Jaffes Wunsch, solle der Film übers Internet für jedermann zugänglich sein. Kommerzielle Interessen würden mit dem Projekt nicht verfolgt.

Ganz ohne finanzielle Unterstützung durch öffentliche Mittel wäre das Filmprojekt, das sich in die Aktivitäten zu „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ einreiht, freilich nicht zustande gekommen – immerhin belaufen sich die Produktionskosten auf rund 12.000 Euro. Um Fördergelder beantragen zu können, kooperierte das Netzwerk mit dem Verein International. „7.000 Euro kamen von der Bundesregierung, 2.000 Euro steuerte das NRW-Förderprogramm Heimat-Scheck bei – der Rest waren Eigenmittel und private Spenden“, sagen Winfried Keller und Ulrich Papke vom Verein International.

 

 

 

 Bünde (WB/hr) Der Lockdown schränkt das Leben aller ein. Abstand halten, Distanz wahren – das sind die Tugenden, die derzeit gepredigt werden. Welche Folgen es haben kann, wenn verordnete Distanz eine erfolgreiche Integration erschwert, erlebt Ute Fröhlich vom Verein International praktisch täglich. Seit der Gründung in den 80er Jahren bemüht sich der Verein, Mitgliedern und deren Familien, Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund in Bünde bei persönlichen und sozialen Fragen und Problemen zur Seite zu stehen und sie beratend und praktisch zu unterstützen. 

Zu den bekannteren Angeboten zählt das Café International im Bonhoeffer-Haus, aber auch Nachhilfeunterricht, eine Fahrradwerkstatt und nicht zuletzt die Hilfe beim Umgang mit Behörden und Ämtern. „Bis in den Spätsommer haben wir – natürlich unter Berücksichtigung der Schutzverordnung – unser Café International geöffnet gehabt“, sagt Fröhlich. Auch wenn es sich in erster Linie um ein geselliges Treffen handeln würde, hätte es doch eine wesentliche Funktion beim Erwerb der deutschen Sprache. Und darüber hinaus bestehe für die Besucher die Möglichkeit, Probleme, mit denen sie im deutschen Alltag konfrontiert würden, zu schildern. Das entfalle nun.

 Vom Lockdown ebenfalls betroffen seien Sprachkurse, die unter anderem vom Verein International angeboten wurden. „Eine Folge ist, dass Flüchtlinge oder Migranten oftmals nur noch im eigenen sprachlichen Umfeld, beispielsweise in der Familie, sprechen – und dann in ihrer Muttersprache.“

 So würden Defizite beim Lernen der deutschen Sprache entstehen. „Das geht ganz schnell, bei Kindern und Erwachsenen“, sagt Fröhlich. Durch den Lockdown sei der sprachliche Austausch, der direkte Kontakt stark reduziert worden. Fröhlich nennt das Beispiel eines jungen Afghanen, der die Abendrealschule Bielefeld besucht. Der Distanzunterricht bereite ihm große Schwierigkeiten. „Zum einen ist er nicht so firm in Sachen Internet, zum anderen fehlt ihm der Kontakt zu seinen deutschen Schulkameraden.“

 Bis Ende 2020 habe der Verein noch Nachhilfeunterricht in Mathematik gegeben. „Das war Einzelunterricht. Wir sind aufgefordert worden, das einzustellen. Das werden die Schüler, die die Realschule oder das Gymnasium besuchen, ganz stark merken.“

 Zu den wichtigsten Hilfen, die der Verein biete, gehöre die Beratung: „Das berührt nicht nur Fragen zur Krankenkasse, zum Jobcenter oder zum Ausfüllen von Formularen, sondern auch juristischen Aspekte wie die Duldung oder der Familiennachzug.“

 Hier hätten sich durch Corona neue Probleme aufgetan. „Viele Institutionen, bei denen man Dinge schnell vor Ort lösen konnte, bieten aktuell nur telefonische Beratungstermine an.“ Der Lockdown habe gerade in dieser Hinsicht das Leben schwieriger und umständlicher gemacht. „Versuchen Sie derzeit doch einmal, ein Passfoto zu bekommen – praktisch ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt Fröhlich.